Dossier

Was ist die Kampagne für eine sozialistische Partei?

Inhalt
  1. Abschnitt
    1. Vorwort
  2. Abschnitt
    1. Sozialismus und Kapitalismus
  3. Abschnitt
    1. Soziale Basis und Kader
    2. Kampagne und Partei
    3. Vom Protest zur Politik
    4. Die politische Macht
    5. Verhältnis zu anderen Sozialisten
      1. Sektierertum überwinden
      2. Kurs auf eine neue Partei
    6. Der nächste Schritt (das Operationsziel)

1. Abschnitt

Vorwort

Es gab Zeiten, in denen Millionen einfacher Arbeiter die Schriften von Adam Smith bis Karl Marx besser verstanden haben als Ökonomieprofessoren heute. In den Abendschulen der sozialistischen Parteien hatten viele dieser Menschen erst das Lesen erlernt, bevor sie damit anfingen, philosophische und ökonomische Werke zu studieren. Sie taten dies, um sich über ihre eigene Lage aufzuklären. Dabei konzentrierten sie sich zuerst auf das politisch wesentliche Anliegen der Autoren selbst, anstatt sich wie heute im Dickicht der akademischen Diskussion und in wirren Detailfragen zu verlieren.

Was den Selbstwiderspruch dieser Gesellschaft ausmacht, warum er nach wie vor auf den Sozialismus verweist und was die Haupteigenschaften des Sozialismus sind, kann mit dieser Herangehensweise jeder einfach verstehen. Diese Broschüre bietet dafür nur eine fokussierte Einstiegshilfe. Sie verfolgt den Zweck, die vergessene Grundproblematik unserer Gesellschaft (im Folgenden: Abschnitt B) und die daraus erwachsende politische Notwendigkeit für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei neu herauszustellen. Sie formuliert außerdem die aus unserer Sicht dazu nötige strategische Orientierung (Abschnitt C; Kapitel I.-VI.). Sie soll Mitgliedern und Interessenten der Kampagne für eine Sozialistische Partei bei ihrem Aktivismus und in ihrer Schulung dienen.

Sie beantwortet nicht alle Fragen. Vieles wird in den Texten der sozialistischen Tradition, auf die wir uns hier beziehen, besser und viel ausführlicher behandelt. Doch ebenso wie unsere Kampagne keine Partei ist, ist diese Broschüre kein politisches Programm einer Partei. Gegenwärtig gibt es weltweit einzelne Sozialisten, aber keine Sozialistische Partei. Unsere Grundsatzerklärung fasst in elf Punkten zusammen, wie wir diesen Zustand mit unserer Kampagne überwinden wollen. Die Broschüre erläutert diese Punkte ausführlicher.

23.01.2020

2. Abschnitt

Die marxistischen Prognosen über die Entwicklung des Kapitalismus haben sich bewahrheitet. Die Industrielle Revolution hat die Produktion technisch beschleunigt und von der Entwicklung der Dampfmaschine bis hin zur Digitalisierung zu einer gewaltigen Anhäufung und Konzentration von Kapital in den Händen relativ weniger großer Konzerne geführt. Während die Kapitalistenklasse stark geschrumpft ist, hängt die Existenz der kleineren Unternehmer vollständig von den großen Konzernen oder dem Staat ab. Die übergroße Mehrheit der Menschen ist zu Arbeitern geworden und kann nur halbwegs in modernen Lebensverhältnissen existieren, wenn sie ihre Arbeitskraft verkauft. Diese Arbeiterklasse ist darauf angewiesen, dass ihre Arbeit Wert besitzt. Doch die ureigenen Produkte der kapitalistischen Gesellschaft, die Maschinen, entwerten menschliche Arbeit fortwährend. Die Maschine macht den Arbeiter und nicht die Arbeit selbst überflüssig. Jeder technologische Fortschritt, arbeitssparend an sich, wird im Kapitalismus zugleich zum Destruktionsmittel. In dieser Gesellschaft gibt es keinen Schulabschluss, keinen akademischen Grad und keine Fähigkeiten, die den Lohnabhängigen sicher davor bewahren könnten, in naher Zukunft durch neue Technologien ersetzt zu werden. Die Automatisierung macht vor keinem Arbeitssektor halt. Mit voller Wucht werden neue Computer- und Robotertechniken, wie bereits in den letzten Jahrzehnten, Millionen von Arbeitsplätzen auch im Dienstleistungssektor liquidieren. Selbst jene, die „fest“ im Produktionsprozess beschäftigt sind, begleitet die permanente Drohung der Arbeitslosigkeit und das Gefühl der Ohnmacht. Mit neuen Technologien eröffnet das Kapital gleichzeitig neue Arbeitsfelder und Arbeitsplätze. Doch neue industrielle Revolutionen wiederholen die relative Entwertung menschlicher Arbeit nur in größerem Ausmaß: Die Menschheit ist gefangen in einer Tretmühle.

Das Kapital verwendet Maschinen, um Kosten zu senken und den Profit zu steigern. Das dadurch entstehende Heer von Arbeitslosen verschafft dem Kapital umgekehrt auch die Möglichkeit, billig in Arbeit zu investieren, statt neue Technologien anzuwenden oder zu entwickeln. Deshalb führt die kapitalistische Entwicklung gleichermaßen zu Roboterfabriken und Sweatshops. Solange es einen Mangel an Jobs gibt, müssen die Arbeiter untereinander konkurrieren. Das drückt die Löhne und hält so eine Klasse von Menschen in permanenter Abhängigkeit von der Erwerbsarbeit. Ohne Massenarbeitslosigkeit wäre das System der Lohnarbeit langfristig unmöglich. Durch sie reproduziert sich der weltweite Konkurrenzkampf der Arbeiter untereinander, der die Menschen im Kampf um Arbeitsplätze und Industriestandorte gegeneinander treibt und zu Kriegen und sogar Völkermorden führt.

In einer Gesellschaft, in der der überwiegende Reichtum durch Maschinen geschaffen wird, ist der Privatbesitz an den Produktionsmitteln nicht mehr zeitgemäß. Die Gesellschaft beruht darauf, dass jeder an ihr durch Arbeit teilnimmt, während zeitgleich der Komplex der sich fortschreitend automatisierenden Produktion die Arbeit entwertet und überflüssig macht. Karl Marx nannte das den Widerspruch der bürgerlichen Sozialbeziehungen mit den industriellen Produktivkräften. Um diesen Widerspruch und die daraus resultierende gesellschaftliche Unfreiheit aufzuheben, müssen wir das System der Lohnarbeit überwinden. Wir müssen es durch eine neue Basis von Sozialbeziehungen ersetzen, in der der primär durch Maschinen produzierte Reichtum gesellschaftlich angeeignet wird. Dieser nur auf globaler Ebene mögliche Zustand heißt Sozialismus.

Um den Sozialismus zu erreichen, müssen wir die Produktionsmittel auf einer globalen Ebene vergesellschaften. Nur dann kann der gesellschaftliche Fortschritt in Wissenschaft und Technik auch gesellschaftlich verwendet werden, statt nur dem Profit einzelner Konzerne zu dienen. Die gesamte Wirtschaft würde wie ein einziger Betrieb geführt, der für die Bedürfnisse der Menschen arbeitet. Wir würden in völlig neue Technologien investieren und die Produktion weiter automatisieren. Die Verwaltung der einzelnen Konzerne würde zusammengefasst und alle Vorteile der Produktion auf großer Stufenleiter genutzt. Dann würden wir Investitionen weltweit politisch so steuern, dass mit der Arbeitslosigkeit auch die Konkurrenz der Menschen untereinander überwunden wird. Wenn der ganzen Gesellschaft die Resultate der gesteigerten Produktivität zufallen, kann sie mehr Lohn für weniger Arbeit zahlen. Die Arbeit würde vernünftig unter allen Gesellschaftsmitgliedern aufgeteilt und damit die Unsicherheit der Existenz verschwinden, die im Kapitalismus immer weiter um sich greift. Geplante Vollbeschäftigung würde die Produktivität der ganzen Gesellschaft erhöhen und so die gesellschaftlich notwendige Arbeit insgesamt immer weiter reduzieren. Dann würden die zunehmende Produktivität und der gewaltige gesellschaftliche Reichtum zum Mittel der Individuen werden, sich voll und frei zu entfalten. Nur im Sozialismus kann der wissenschaftliche und technische Fortschritt von einem Destruktionsmittel zu einem Mittel der Befreiung werden und allmählich sogar die Notwendigkeit der Arbeit – wie wir sie kennen – selbst aufheben. Wie wir in Punkt elf unserer Grundsatzerklärung schreiben, „verwirklicht der Sozialismus“ dabei „nur die gesellschaftlichen Potentiale, die vom Kapitalismus gleichzeitig ermöglicht und zurückgehalten werden. Wir brauchen eine Partei, um diese Aufgabe zu verfolgen.“

Alle existierenden Parteien modifizieren die immer wiederkehrenden, grundsätzlichen Probleme des Kapitalismus nur. Sie sind nicht in der Lage, die Gesellschaft aus ihrer geschichtlichen Krise zu führen. Deshalb müssen wir unseren Aktivismus direkt auf die dringlichste Aufgabe der Gegenwart konzentrieren: den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei. Im Verbund mit ähnlichen Parteien weltweit wird sie darauf hinarbeiten, die Macht zu übernehmen, um die Produktionsmittel zu vergesellschaften und das System der Lohnarbeit mit ihrem materiellen Fundament – der Arbeitslosigkeit – zu beseitigen. Durch den Aufbau dieser Partei können wir die Arbeiterklasse aus ihrer politischen Apathie reißen und den oft vereinzelten und alltäglichen Kampf, den jeder früher oder später mit den Verhältnissen führen muss, unter dem Banner des Sozialismus organisieren.

Jetzt ist eine gute Zeit, um den Aufbau einer Sozialistischen Partei zu beginnen. Die bestehenden Parteien ebenso wie die gesamte Gesellschaft sind orientierungslos. Während alte, lang etablierte Parteien untergehen und neue entstehen, sind viele Menschen weiterhin grundsätzlich unzufrieden. Sie ringen meist alleine mit den Verhältnissen, wählen nicht oder nur aus Protest oder haben sich ganz ins Private zurückgezogen. Keine politische Partei zeigt ihnen einen Ausweg.

Wir schreiben in unserer Grundsatzerklärung: „Eine neue Generation hat die Chance die politische Aufgabe und Möglichkeit zu ergreifen, die von der Neuen Linken seit den 1960ern und der Alten Linken seit den 1930ern vermieden wurde. Beide waren geprägt durch das Scheitern der Novemberrevolution 1918/19 und das Unvermögen der alten SPD und KPD den Nationalsozialismus zu verhindern. Die Neue Linke verirrte sich in der Dynamik des Anti-Kommunismus und der Blockkonfrontation. Schließlich erlag sie der Anziehungskraft der SPD, der Grünen und später der Linkspartei. Doch der Kalte Krieg ist vorbei und wir können heute ohne diese Fesseln, sozialistische Politik aufbauen.“ Wie wir dabei ansetzen wollen, erklären wir in diesem Text.

3. Abschnitt

Die sozialistische Bewegung (und Arbeiterbewegung insgesamt) erreichte kurz vor dem Ersten Weltkrieg ihren Zenit. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte war die internationale sozialistische Bewegung stärker und die Chance einer revolutionären Überwindung des Kapitalismus größer. Dieser Höhepunkt wurde durch 50 bis 70 Jahre geduldige Aufbauarbeit vorbereitet und von der international stärksten sozialistischen Partei, der SPD, angeführt.
Die Unterstützung des Ersten Weltkriegs durch die SPD-Spitze bedeutete den Verrat an ihrem eigenen Ziel, das internationale Proletariat im Kampf um Sozialismus zu vereinigen.
Über die treffende Kritik an dieser Politik der SPD, die zu ihrem eigenen Untergang beitrug, wurde ihre erfolgreiche Aufbauarbeit vergessen. Die SPD war durch ihren Tageskampf in jeder Lokalgruppe und durch ihre konsequent-oppositionellen Politik zu einer sozialistischen Massenpartei geworden. Wir wollen diese Praxis des Aufbaus einer revolutionären Partei, den die Vorkriegs-SPD und auch die KPD der Weimarer Zeit lange geduldig und erfolgreich gegangen sind, wieder in Angriff nehmen. Obwohl diese Vorbilder Limitationen haben, kann anhand ihres Beispiels gezeigt werden, was wir mit einer Sozialistischen Partei meinen.

Die Vorkriegs-SPD war viel tiefer in der Gesellschaft und im Leben der Einzelnen verankert als wir uns das heute vorstellen können. Die Arbeit im Parlament machte nur einen ganz kleinen, untergeordneten Teil ihrer Arbeit aus. Was sie vor allem bereitstellte, war eine soziale Infrastruktur. Eine Basis in der alle möglichen zivilgesellschaftlichen Organisationen für den Kampf um Sozialismus koordiniert wurden. Diese Basis reichte von Arbeitersport- und Bildungsvereinen, über Mietvereine, bis hin zu den Gewerkschaften. Sie schuf und radikalisierte nicht nur Gewerkschaften, sondern baute in allen Teilen der Gesellschaft Organisationen auf, die die Interessen der Menschen unabhängig und gegen die Interessen der Unternehmer, Grundeigentümer und des Staates organisierten. Diese zivilgesellschaftlichen Organisationen waren breit aufgestellt, politisch offen. Keineswegs waren alle ihre Mitglieder Sozialisten. Und dennoch waren die Mitglieder der SPD ihr aktivster, führender Teil, diejenigen, die am energischsten an ihrer Ausbreitung arbeiteten und damit für die kämpferische Ausrichtung dieser Organisationen sorgten. Die Kader der SPD mobilisierten die Arbeiterklasse durch diese Institutionen in Zivilgesellschaft und Staat und gaben der Arbeiterklasse damit eine eigenständige politische Repräsentation.

Heute werden diese Institutionen von den bezahlten Kadern der kapitalistischen Parteien geführt. Durch den professionellen Status ihrer Arbeit sind sie davon überzeugt, dass sie und andere grundsätzlich vom gegenwärtigen Zustand profitieren werden. Obwohl sie Arbeiter sind, denken und handeln sie kleinbürgerlich; d.h. für sie ist der Kapitalismus fortschrittlich und muss erhalten werden. Unter dieser kleinbürgerlichen Führung kann die Arbeiterklasse keine eigenständige politische Rolle spielen. Wir sehen unsere Aufgabe deshalb darin, Kader auszubilden, die die Arbeiterklasse neu mobilisieren und langfristig ihre derzeitige politische Repräsentation ersetzen können. Wir tun das, indem wir die Unorganisierten organisieren und insgesamt die zivilgesellschaftliche Organisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter neu aufstellen. Das beinhaltet unbedingt auch den momentan arbeitslosen Teil der Arbeiterklasse.

Der soziale Kampf der Gewerkschaften, Mietervereine und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen der Arbeiterbewegung war einmal darauf gerichtet, sofort soziale Missstände der Menschen zu beseitigen oder zumindest zu lindern und gleichzeitig dadurch das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit so zu verändern, dass die Möglichkeit entsteht, das Kapital zu überwinden. Die gegenwärtigen kapitalistischen und kleinbürgerlichen Verwalter des Staats, der Institutionen der Zivilgesellschaft und der Organisationen der Arbeiterklasse haben jedoch kein Interesse daran, das Potential dieser Organisationen demokratisch zu nutzen. Sozialisten müssen praktisch und theoretisch in diesen Kämpfen zeigen, dass die grundsätzlichen sozialen Übel notwendig unter kapitalistischen Verhältnissen fortdauern werden und nur der Kampf um Sozialismus auf die Überwindung der Übel verweisen kann. Nur wenn wir den professionellen kapitalistischen Kadern die Führung der sozialen Auseinandersetzungen entreißen, können Gewerkschaften und andere Institutionen von einem Mittel der Disziplinierung der Arbeiter im Kapitalismus zu einem demokratischen Mittel der Arbeiter selbst werden. Nur dann kann der soziale Kampf zu einem politischen Kampf um die Neugestaltung der Gesellschaft werden. Der kämpferische Aufbau der sozialen Basis im Kapitalismus ist also ein Mittel, die Arbeiterklasse auf die Übernahme der gesellschaftlichen Machtstellen in einer Revolution vorzubereiten. Die Arbeiterklasse muss zum politischen Subjekt werden, das die Regierung demokratisch kontrollieren kann. Dafür müssen wir Kader entwickeln, die es verstehen, die Arbeiter zu mobilisieren und die zukünftig als verantwortliche Kommissare einer Sozialistischen Partei agieren könnten. Wie Lenin in Anlehnung an Bebel und Kautsky schrieb, brauchen wir keine Gewerkschaftsfunktionäre, sondern „Volkstribune“.

Dennoch sind wir es nicht alleine, die eine Revolution einleiten, sondern ebenso die Verhältnisse selbst. Der Kapitalismus und seine Parteien sind langfristig nicht in der Lage, ohne Kriege und soziale Unruhen auszukommen. Nur wir werden diejenigen sein, die gesellschaftliche Krisen in revolutionäre Möglichkeiten verwandeln. Dafür wollen wir die demokratischen Mittel des Staates und der Zivilgesellschaft nutzen. Um aus dem akuten Chaos, das die kapitalistische Gesellschaft früher oder später produziert, eine neue Ordnung zu gebären, müssen wir lernen, uns mit der Arbeiterklasse zu verbinden und ihre Kämpfe zu führen. Die Kader einer zukünftigen Sozialistischen Partei müssen dann auch nach der Machteroberung als politisches Gegengewicht zu den professionellen Bürokraten des Staates fungieren.

In der alten SPD und KPD wurde diese Form des Aktivismus, der den Aufbau von Kadern und die Formierung einer sozialen Infrastruktur umfasst, die „Schule der Arbeiterklasse“ und die „Schule der Revolution“ genannt. Sie stellt die Vorbereitung der Machteroberung und der grundlegenden Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse dar. Nur wenn wir die Arbeiterklasse in einer sozialistischen Massenpartei organisieren, die fest in Gewerkschaften und anderen Basisorganisationen verankert ist, können wir die kapitalistische Gesellschaft aus ihrer Orientierungslosigkeit führen und ihre ökonomischen Entwicklungstendenzen für die Verwirklichung des Sozialismus nutzen. Eine bewusste und rationale Einrichtung der Produktion im Interesse der Gesellschaft ist ohne massenhafte politische und zivilgesellschaftliche Organisierung nicht möglich. Organisierung, sowohl im Betrieb als auch in der Mietswohnung und im Stadtteil, ist bei der gegenwärtigen Schwäche bestehender Organisationen eine unserer Hauptaufgaben. Wir sprechen jedoch vom Aufbau einer „sozialen Basis“, weil wir damit verdeutlichen möchten, dass dieser Aufbau an sich unzureichend ist und von einer Partei abhängt, die in dieser Basis verankert ist, sie damit als solche zusammenfasst und erst effektiv macht.

Für unser Projekt der Kampagne für eine Sozialistische Partei hat der Aufbau einer sozialen Basis keinen Wert an sich. Die Arbeit einer Gewerkschaft bspw., kann ohne die koordinierende und vermittelnde Arbeit von Sozialisten nur sehr begrenzt sein. Eine Gewerkschaft findet ihren Ausgangspunkt immer in einer konkreten nationalen, meistens sogar regionalen und berufsmäßig begrenzten Auseinandersetzung. Dafür muss sie sich zwangsläufig zu einem gewissen Grad auf partikulare Interessen spezialisieren, obwohl die sozialen Übel nur durch einen gesellschaftlichen Kampf – einen Kampf um die Macht – überwunden werden können. Soll der kollektive Kampf einiger Arbeiter zum gesellschaftlichen Kampf um Sozialismus werden, bedarf es einer Vermittlung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen der Arbeiterklasse und einer Vermittlung der Arbeit in diesen Organisationen. Für diese Vermittlungsarbeit bedarf es einer Partei.

Es wäre schädlich für die Arbeit einer Gewerkschaft, wenn sie (wie es der Syndikalismus vertritt) diese politische Vermittlung herstellen wollte, indem sie sich selbst ein allgemeines politisches Programm geben würde. Sie würde damit ihre Aufgabe nicht erfüllen, langsam möglichst breite und politisch sehr heterogene Teile der Klasse in den Kampf zu führen und praktisch im Kampf zu schulen. Sie würde ein sozialistisches Bewusstsein voraussetzen, wo bei breiten, zunächst wenig an Sozialismus oder Theorie interessierten Schichten erst durch die Erfahrung des Kampfes ein solches Bewusstsein und Interesse am Sozialismus geweckt werden kann. Eine solche Herangehensweise mag in Zeiten, wo die Arbeiterbewegung insgesamt stark war, einige radikale Elemente angezogen haben. Im gegenwärtigen Moment kann sie jedoch nicht einmal das und verhindert, dass größere Teile der Klasse überhaupt in den Kampf einbezogen werden. Es ist entscheidend, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen der Arbeiterbewegung in größtmöglichem Umfang reaktiviert und neu aufgebaut werden. Je stärker die Organisationen der Arbeiterbewegung sind, desto einleuchtender können Sozialisten die Verbindung der Interessen aller Arbeiter aufzeigen. Gegenwärtig stellt auch die Schwäche der sozialen Basis der Arbeiterklasse eines der Haupthindernisse für den Aufbau einer Sozialistischen Partei dar. Diese Schwäche wird nicht überwunden werden, wenn wir Menschen, die bereit wären, in Gewerkschaften und anderen Organisationen mitzuarbeiten, wegen ihrer politischen oder gar persönlichen Meinung nicht aktiv versuchen einzubinden. Wir werden Menschen, die in einer gewaltförmigen und durch Ausbeutung und Unfreiheit geformten Gesellschaft leben, keinen Ethikunterricht erteilen oder irgendjemandem erzählen, wie sie oder er sich auszudrücken hätte. Nur eine andere, vernünftig eingerichtete Gesellschaft kann wirklich moralisch handelnde Menschen hervorbringen. Wir sind nicht dazu angetreten, persönliche Vorlieben und Meinungen zu ändern, sondern soziale Verhältnisse. Nur im Kampf um ihre Interessen wird der Arbeiterklasse bewusst werden, wie diese Gesellschaft den Sozialismus möglich und notwendig macht.

Eine Sozialistische Partei ist zunächst nichts weiter als eine Plattform, um die verschiedenen Kämpfe der Arbeiterklasse zusammenzuführen, zu vermitteln und zu einem politischen Kampf um die Macht zuzuspitzen. Doch wir sind weit davon entfernt eine solche vermittelnde Funktion einnehmen zu können. Erst wenn wir in den verschiedenen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Feldern Kader haben, die den Ausgang von Auseinandersetzungen beeinflussen können, wird eine Sozialistische Partei möglich. Doch darauf arbeiten wir erst hin. Theoretische Positionierungen in einem Kampf, auf den wir gegenwärtig keinen Einfluss haben, sind wertlos. Wir müssen auch praktisch demonstrieren, dass es notwendig ist, den Kampf sozialistisch zu führen. Das können wir nur im Kleinen und gegenüber Einzelnen. Unsere Kampagne konzentriert sich deshalb darauf, Kader auszubilden, die in Zukunft in diesen Kämpfen eine solche Rolle spielen können. Unsere Kämpfe werden zunächst nur einen exemplarischen und experimentellen Charakter haben. In ihnen konzentrieren wir uns ganz darauf für die Notwendigkeit einer Sozialistischen Partei zu agitieren. Statt Kämpfe von außen zu kommentieren und den kleinbürgerlichen und kapitalistischen Kadern vorzuschlagen, welche Losung sie benutzen und welchen Schritt sie im Namen der Arbeiterklasse gehen sollten, werden wir uns vollständig darauf fokussieren, die schmerzhafte Abwesenheit einer Sozialistischen Partei hervorzuheben. Wir sind keine Propagandagruppe, die revolutionäre Ideen in nicht revolutionären Zeiten am Leben halten will, sondern eine Kampagne, die eine sozialistische Massenpartei aufbauen will.

Obwohl die alte SPD auch für Gesetzesänderungen und die Anerkennung der Rechte aller Menschen eintrat, warteten Sozialisten damals nicht darauf, bis der Staat ihren Forderungen nachgab. So haben Sozialisten damals nicht nur politisch die Legalisierung von Abtreibung gefordert, sondern auch Ärzte organisiert, die Abtreibungen durchgeführt haben – ohne prinzipielle Rücksicht darauf zu nehmen, dass diese Praxis noch illegal war. Gegebenes Recht beachtete die alte SPD nur soweit, wie das gesellschaftliche Kräfteverhältnis es ihr ermöglichte, es zu überschreiten und neue Rechte zu etablieren. Der Rechtsbruch in der gesellschaftlichen Praxis der Arbeiterklasse, angefangen bei ihrer Organisierung, die zu Beginn illegal war, forcierte die Anerkennung ihrer Rechte und schuf ein neues Recht. Natürlich sollten Sozialisten deshalb den Rechtsbruch nicht umgekehrt zum Prinzip ihrer Politik erklären und das Risiko nur dort eingehen, wo es unumgänglich ist. Heute besteht die Aufgabe womöglich mehr darin, bestehende Rechte, die vom Kapital und den Herrschenden tagtäglich ignoriert werden, überhaupt für die Arbeiterklasse geltend zu machen. Die „Unternehmerseite“ heute nutzt das bestehende, ihnen sehr günstige Kräfteverhältnis ebenso um das Recht der Arbeiter zu brechen, wie die Arbeiter damals ihre Organisierung dazu benutzten, die illiberalen Gesetze des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zu umgehen. Wenn wir es schaffen, das Kräfteverhältnis zu verändern, wird die Aktivität der Arbeiterklasse schnell an gesetzliche Grenzen stoßen. In den letzten Jahrzehnten sind viele Gesetze erlassen worden, die die Bewegungsfreiheit der Arbeiterklasse und von zivilgesellschaftlichem Aktivismus insgesamt stark einschränken. Das seit den 1980er Jahren geltende Verbot für politische Streiks und die neuen Polizeibefugnisse ragen dabei selbst im Vergleich mit anderen demokratischen Staaten heraus.

Neben dem Verhältnis der alten Sozialisten zum Recht teilen wir auch ihre Herangehensweise an zivilen Aktivismus – beides hängt eng zusammen. Unser Aktivismus soll den Menschen zeigen, wie sie ohne den Staat gesellschaftliche Strukturen umgestalten können und sich so ihr Leben verbessert. Nur wenn die Menschen erkennen, dass das möglich ist, werden sie sich massenweise organisieren. Eine auf reinen Protest ausgerichtete Strategie eröffnet keinen Weg, wie Menschen langfristig aktiv werden und anfangen, ihre konkreten Probleme organisiert und kämpferisch anzugehen. Mit Protest wird an den Staat und vorhandene politische Parteien appelliert und sich so mit diesen Parteien abgefunden. Gerade die Dringlichkeit mit der die Protestierenden gegen einen Missstand – oder (Klima-, Wohnungs- etc. pp.) „Notstand“ – rebellieren, beschleunigt die Abfindung mit den gegebenen Parteien.

Die Orientierung der alten SPD und KPD auf den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei wurde schon lange verlassen und in den letzten Jahrzehnten endgültig gegen reinen Protestaktivismus eingetauscht. Die politischen Vertreter des Protestaktivismus rufen implizit und sehr oft auch explizit nach Hilfe von oben, vom Staat und von der gegebenen Regierung. Je nach politischer Orientierung der Aktivisten, will man diese entweder lautstark bitten oder zum Handeln drängen. Jedenfalls sollen möglichst viele Menschen ganz viel Lärm machen, Schilder hochhalten, liken und teilen, damit andere handeln und damit „die“ Politik „was“, ja irgendwas, unternimmt. Der Protest bekundet damit vor allen Dingen, dass kein Konzept davon vorhanden ist, „was“ genau, „wie“ und von „wem“ geändert werden könnte. Entsprechend selten fühlen sich die Herrschenden zu mehr als warmen Worten bewegt. Wir hingegen sehen in dieser offenkundigen Ohnmacht des Protests und der generellen Orientierungslosigkeit des gegenwärtigen Kampfes die Notwendigkeit einer grundlegenden Umorientierung, die wir einleiten wollen.

Auch die gegenwärtigen Versuche diverse Volksabstimmungen zu provozieren, überlassen letztendlich dem Staat und der existierenden Regierung die alleinige politische Macht. Entweder es handelt sich bei dieser Art von Aktivismus um ganz naive Versuche die Politik zu ändern, ohne die Regierung zu ändern oder aber man denkt nur noch in den Kategorien von Publizität und Aufmerksamkeit für die eigene Kleinstgruppe, die sich medial profilieren soll. Selbst wenn diese Volksabstimmungen zu an sich wichtigen Forderungen glücken würden, wären wir damit weder dem Sozialismus noch einer unabhängigen Organisierung der Menschen auch nur einen Schritt näher. Vom Referendum wird sich versprochen, direkt, ohne eine eigene Partei aufzubauen und an die Regierung zu bringen, punktuell Forderungen durchzusetzen. Selbst wenn punktuelle Reformvorschläge von regierenden Parteien aufgenommen würden, verändert sich die Bedeutung der Reform durch den Akteur, der sie durchbringt. Wird soziale Veränderung den Herrschenden überlassen, dann auch ihren grundsätzlichen Interessen. Mit einem solchen „Kompromiss“ aber wird die Grundessenz linker Politik insgesamt begraben. Aktivisten, die auf Volksabstimmungen hinarbeiten, versprechen sich naiv, ein Faustpfand gegen die Regierung zu erzeugen, wo sie in Wahrheit nur hunderte von Stunden motivierter aktivistischer Arbeit für Nichts verschwenden. Sie lassen damit leider die Gelegenheit verstreichen, den Aufbau einer wirklichen Opposition voranzutreiben.

Die Sozialisten vor dem ersten Weltkrieg wussten um den konservativen Charakter von Protestaktivismus, mit dem sie durchaus von Seiten der bürgerlichen Opposition konfrontiert waren. Ihnen war klar, dass der Staat kein neutraler, über den Klassen stehender Akteur ist, der aus reiner Fürsorge den Menschen gegenüber handelt. Für sie war jeder Eingriff des Staates, zugleich immer auch gegen die Selbsttätigkeit der Menschen gerichtet; ein Versuch, Kontrolle zu erlangen und die Interessen derjenigen herrschenden Klassen geltend zu machen, die strukturell durch Besitz und Verbindungen eng mit dem Staatsapparat verbunden sind. Der gegenwärtige Staat fußt auf den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und lebt von diesen. Sein Handeln ist immer auch damit verbunden, die soziale Ordnung des Kapitalismus zu erhalten. Wenn er eingreift, um soziale Übel zu lindern, dann kann er nicht an den kapitalistischen Ursachen der Probleme ansetzen.

Andererseits stoßen auch nur kleine Kämpfe für das Interesse der Arbeiterklasse im Kapitalismus sehr schnell gegen die Profit- und Machtinteressen der Herrschenden. Deshalb können nur Menschen, die mit den Grundlagen dieser Herrschaft brechen wollen, auf lange Sicht eine effektive Selbstorganisation gewährleisten. Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Organisationen können nur von Menschen reaktiviert werden, die sich mit dem Bestehenden nicht abfinden und das eigentliche Potential dieser Organisationen in Zusammenarbeit mit einer Sozialistischen Partei entfalten wollen. Die heutige SPD und Linkspartei operieren vollständig als „sozialverantwortliche“ Manager des Kapitalismus. Sie haben die Arbeiterbewegung längst abgeschrieben.¹

Wir erwarten für die Zukunft einen ähnlichen langwierigen Aufbauprozess wie ihn die Sozialisten im 19. und frühen 20. Jahrhundert durchgemacht haben. Der Start der Kampagne für eine Sozialistische Partei leitet diesen Prozess ein. Wir sind ein kleines Projekt und werden kleine Schritte gehen. Wir werden zunächst dort eingreifen, wo es auch in unserer Macht liegt, Verhältnisse zu verändern. Dadurch wird unserer Reichweite wachsen, sodass wir in größere Konflikte intervenieren können. Wir beabsichtigen dabei unsere Programmatik der Größe der Aufgabe anzupassen. Wir wollen ernsthaft an die Arbeit gehen und behaupten nicht, dass wir jetzt schon Lösungen für ganz Europa oder gar die Welt anbieten können.

 


¹ Heute haben sie und leider auch viele andere Sozialisten oft vergessen, warum die Arbeiterbewegung traditionell gegen Mindestlohngesetze war: Ein solcher staatlicher Eingriff in den zivilgesellschaftlichen Konflikt zwischen Kapital und Arbeit demobilisiert die Arbeiter. Mindestlohngesetze, ebenso wie das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, sind typisch für die Epoche des Neoliberalismus und wurden ursprünglich von konservativen Politikern erdacht und vertreten. Wenn dem Staat zugesprochen wird, über die Höhe des Lohnes zu entscheiden, besteht keine Notwendigkeit mehr sich zu organisieren. Vielen neoliberalen Regierungen ging es mit der Einführung des Mindestlohns in den letzten dreißig Jahren wesentlich auch darum, den Einfluss der Gewerkschaften zurückzudrängen. In vielen Ländern sind Mindestlohngesetze gleichzeitig ein direktes Resultat der Schwäche der Gewerkschaften, die es nicht mehr schaffen, Angriffe der Unternehmer so zu beantworten, dass der Lohn der Arbeiter zum Leben reicht. Aus dieser Notsituation darf keine Tugend gemacht werden. Weil inzwischen oft gesellschaftlich anerkannt wird, dass der Staat anstelle von Arbeitern und Gewerkschaften handeln soll, sind ganze Branchen entstanden, die fast oder völlig von Gewerkschaften „befreit“ sind. Entsprechend niedrig sind das Lohnniveau und die generelle Fähigkeit der Arbeiter sich bei Schikanen, unbezahlten Überstunden, Belästigung usw. gegen den Chef zu verteidigen. Mit Gesetzen lässt sich das Kraftverhältnis zwischen Arbeit und Kapital nicht ändern. Das niedrige Lohnniveau in den Sektoren ohne Gewerkschaften drückt auf das allgemeine Lohnniveau. Es führt kein Weg daran vorbei, ein höheres Lohniveau kann nur durch eine umfassende Organisierung der Arbeiter erstritten werden. Mindestlohngesetze würden dann automatisch bedeutungslos werden und es bedarf keiner aktiven Opposition gegen sie.

Als die bürgerlichen Revolutionen die Monarchien stürzten und den Feudalismus überwanden, konnten sie sich dabei auf eine im Schoß der feudalen Gesellschaft entfaltete bürgerliche Produktionsweise stützen, die die Grundlage der neuen Ordnung wurde. Die große Französische Revolution 1789 fand ihren Rückhalt bei den Handwerkern der Städte, die sich schon während der Monarchie durch ihre wirtschaftliche Stellung von der Leibeigenschaft befreit hatten. Die Französische Revolution verallgemeinerte die Produktionsweise der Handwerker nur, indem sie auch auf dem Land die Leibeigenschaft beendete und damit den Bauer – nach dem Modell des handeltreibenden Handwerkers – zum Warenverkäufer machte. Die Arbeiterklasse hingegen kann im Kapitalismus zwar Kampforganisationen herausbilden, aber keine eigene Produktionsweise. Deshalb ist die Umwandlung des Kapitalismus in den Sozialismus nur auf politischem und nicht auf wirtschaftlichem Wege möglich. Der Sozialismus ist ein einziger wirtschaftlicher Komplex, der nicht kleinteilig oder regional im Kapitalismus vorbereitet werden kann. Er kann nur gebildet werden, wenn die kapitalistische Produktionsweise auf ganzer Linie, in den wichtigsten Industrieländern aufgebrochen wird, d.h. als Ergebnis einer international koordinierten Machteroberung mehrerer sozialistischer Parteien. Regional kann der Kapitalismus nicht überwunden werden, deshalb ist es unumgänglich, die Staatsmacht zu übernehmen und die politische Macht zur Vermittlung der sozialen Umgestaltung zu nutzen. Ziel unserer Kampagne ist es, Kader auszubilden, die eine solche politische Umgestaltung in Staat und Zivilgesellschaft anführen können. Diese Kader müssen in einer gesellschaftlichen Krise, die die Revolution notwendig macht, in der Lage sein, die professionellen Verwalter des Kapitalismus zu ersetzen und politisch in Schach zu halten. Der soziale Kampf von Gewerkschaften bspw. kann zwar einige Auswirkungen des Kapitalismus lindern, nicht aber deren Ursachen beseitigen. Deshalb ist es notwendig, dass eine politische Partei den sozialen Kampf über sich selbst hinaus zum politischen Kampf – der Machtübernahme – treibt. Wir hängen also nicht aus sentimentalen Gründen an der Revolution. Nicht, weil wir glauben, dass die Hoffnung auf eine Revolution in ferner Zukunft alles löst. Die Revolution ist kein Ersatz für den sozialen Kampf, sondern notwendig, damit dieser wirklich effektiv sein kann. Ebenso ist die Machteroberung einer Sozialistischen Partei nicht das Ende, sondern erst der Anfang der vollen Entfaltung des sozialen Kampfes, im Zuge der bewussten und freien Gestaltung sozialer Verhältnisse durch die Menschen selbst.

In Meinungsumfragen feiert der Sozialismus vermeintlich eine Wiederbelebung. Je jünger die Befragten sind, desto höher fällt die Zustimmungsrate aus. Unter den 20- bis 30- Jährigen „young urban professionals“ ist der Begriff besonders hip. Dennoch gibt es keine Sozialistische Partei und keine Vorstellung davon, wie eine sozialistische Zukunft erkämpft werden könnte. Schon länger verwenden Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, die Linkspartei und sogar die SPD den Begriff rhetorisch, um ihre krisengeschüttelten Parteien zu verjüngen. Sie versuchen, die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen in alte Bahnen zu kanalisieren. In Abwesenheit einer Sozialistischen Partei missbrauchen Sie den Begriff, um für ein Zurück zum Wohlfahrtsstaat zu werben. Diese Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Und selbst wenn sie gelängen, wären wir dem Sozialismus damit keinen Millimeter näher. Betrachtet man bspw. nur die Funktion des Jobcenters, sollte klar werden, dass im kapitalistischen Staat soziale und repressive Funktionen nicht zu unterscheiden sind. Mehr Staat – egal ob sozial, repressiv, wohltätig oder neoliberal – war nie das Programm der alten SPD und KPD und kann es auch heute für uns nicht sein. Heute wie damals streben wir demgegenüber eine Mobilisierung der Zivilgesellschaft an.

In unserer Grundsatzerklärung schreiben wir, dass wir uns von linken Sekten aber auch von der Linkspartei (und anderen kapitalistischen Parteien natürlich) unterscheiden. Jedoch bezweifeln wir keinesfalls, dass es in diesen Organisationen Menschen gibt, die durchaus für den Sozialismus kämpfen wollen. Wir wollen diese Kräfte so weit wie möglich einbeziehen und streben – dort, wo es sinnvoll ist – eine Zusammenarbeit in der Praxis an.

      • Sektierertum überwinden

Wir sprechen in unserer Grundsatzerklärung deshalb von „großen und kleinen linken Sekten“ (den Begriff meinen wir rein deskriptiv, nicht abwertend), weil diese Organisationen eine bestimmte Deutung der Geschichte des 20. Jahrhunderts zum Kriterium dafür erheben, wer Teil ihrer Organisation ist und mit wem sie zusammenarbeiten. Dieser Organisationen und ihre Programme sind durch die Blockkonfrontation im Kalten Krieg und andere politische Auseinandersetzungen im 20. Jahrhundert geprägt. Solche programmatischen Kriterien für Mitgliedschaft und Zusammenarbeit sind heute völlig von der Praxis und der geschichtlichen Erfahrung losgelöst und so zum Hindernis für sozialistische Politik geworden. Viele Kriterien sektiererischer Organisationen sind ehemals in Reaktion auf politische Probleme und Möglichkeiten in der Geschichte der sozialistischen Bewegung formuliert worden. Losgelöst von diesen Problemen und Möglichkeiten verkommen sie jedoch zu Glaubensätzen und ihre Organisationen zu Sekten. Ihr historischer Erfahrungswert verschwimmt, wenn sie zu ewig gültigen Prinzipien und Programmpunkten erklärt werden. Linkes Sektierertum heute erscheint als Angst vor Politik überhaupt, als Versuch sich durch Kanonisierung von historisch spezifischer Erfahrung gegen Fehltritte abzudichten. Insofern richten sich Sektierer im Bestehenden ein und passen sich an scheinbar gesunkene Erfolgsaussichten sozialistischer Politik heute an. Ihnen geht es nicht mehr darum, die Revolution praktisch möglich zu machen, sondern nur noch darum, ihre Lehre zu überliefern. Viele Sekten, darunter jene, die sich ihrer Situation durchaus bewusst sind, geben das auch offen zu. Mit dem Kampf um Sozialismus hat das wenig zu tun. Ein Dogma zu kennen, macht niemanden zum Kader. Wir wenden uns keineswegs gegen die in den Programmen sektiererischer Organisationen enthaltene geschichtliche Erfahrung, sondern gegen ihre Erhebung zum ahistorischen Dogma. Das 20. Jahrhundert ist vorbei und wir glauben nicht, dass Auslegungen darüber, was die Sowjetunion war, ob Sozialisten sich an ihr orientieren sollten oder nicht, zur Voraussetzung dazu gehören sollte, mit wem wir zusammenarbeiten. Lasst die Toten die Toten begraben.

Alle bisherigen Versuche die Weltrevolution zu erringen sind gescheitert, insofern kann nur kritisch aus ihnen gelernt werden. Aus unserer Sicht sollte keine Ideologie oder Geschichtsphilosophie Voraussetzung für die Mitarbeit in einer Sozialistischen Partei sein. Die K-Gruppen der 1970er Jahre sind diesen Weg gegangen und haben damit die Möglichkeit eine breite sozialistische Massenpartei aufzubauen versäumt. Während sich in der Geschichte viele Massenparteien im Laufe der Zeit zu Sekten transformiert haben, ist aus einer Sekte noch nie eine Massenpartei geworden. Deswegen sollten wir uns heute mehr an der Zweiten Internationale² und ihrem Grundsatzprogramm, dem Erfurter Programm (durch die Brille Lenins und Rosa Luxemburgs gelesen), orientieren. Aus unserer Sicht kann die Periode des Aufbaus einer Massenpartei nicht übersprungen werden, indem man gleich mit einem engeren Modell, etwa dem der Parteien der Dritten Internationale, anfängt. Nur eine Massenpartei kann die Arbeiterklasse für die Revolution mobilisieren. Die engeren Organisationsgrenzen der Parteien der Dritten Internationale, wie sie in den „21 Thesen“ und anderen Dokumenten vertreten werden, waren dazu bestimmt, die Überreste der Zweiten Internationale zu spalten und so die Arbeitermassen zu gewinnen, die von dieser Zweiten Internationale in einer langen Organisationsarbeit mobilisiert worden waren. Heute gibt es keine sozialistische Bewegung, die wir spalten können. Wir müssen sie von Grund auf neu aufbauen.

Wir ignorieren die spätere Erfahrung von Sozialisten nach der Zweiten Internationale keineswegs, sondern sagen nur, dass sich ihre praktische Relevanz erst in einer späteren Phase des Kampfes zeigen kann. Erst im Aufbau einer Massenpartei wird sich zeigen, wie ein revolutionärer Weg für eine solche Partei oder auf Grundlage einer solchen Partei aussieht. Wir besitzen leider keinen Fahrplan zum Sozialismus und können somit auch nicht die Quelle und Art der Probleme auf diesem Weg vorab einschätzen. In der Politik wie im Leben überhaupt werden Fehler gemacht. Es kommt darauf an, Fehler zu minimieren und sie möglichst schnell zu korrigieren. Was wir brauchen ist eine Verständigung aller Sozialisten über die Grundlagen sozialistischer Politik. Diese Grundlagen kondensieren sich für uns zunächst in der Ausrichtung unseres Aktivismus und unserer Agitation auf das Ziel unserer Kampagne: den Aufbau einer Sozialistische Partei, die in der Lage ist, die Arbeiterklasse in ihrem Kampf zu repräsentieren und die politische Macht zu übernehmen.

Idealerweise können in einer Sozialistischen Partei mehrere Fraktionen bestehen, die einen lebendigen Austausch über die Praxis organisieren und dadurch einen Lernprozess einleiten und verstetigen. Die Wege zu unserem Ziel können nicht von Anfang bestimmt werden und keine Theorie aus dem 19. und 20. Jahrhundert enthält alle Antworten auf die Probleme des 21. Jahrhunderts. Im Gegenteil müssen gerade Strategie und Taktik sehr offen und experimentell angegangen werden. Im Moment haben Sozialisten keinen Einfluss auf Wahlen oder gar internationale Konflikte und sollten deshalb darauf keine Energien verwenden. Wir müssen dort ansetzen, wo wir heute eine eigenständige sozialistische Kraft aufbauen können, die solche Ereignisse in Zukunft bestimmen könnte, statt so zu tun, als könnten wir im Großen schon mitmischen. Es ist im Moment sinnlos sich im Rennen der kapitalistischen Parteien zu positionieren oder gar die Grenze unserer Organisation über eine solche Position festzulegen. Nur eine Sozialistische Partei kann die Veränderungen bewirken, die wir wollen.
Ebenso nehmen wir keine Seite im gegenwärtigen Kulturkrieg der Mittelschichten ein, der besonders an den Universitäten ausgefochten wird. Wir wollen Wähler aller Parteien (ja, auch der AfD!) und vor allem Nichtwähler gewinnen. Unsere Kampagne ist nicht über kulturelle oder ideologische Merkmale definiert, sondern durch ein gemeinsames Interesse am Kampf um den Sozialismus. Wir möchten auf allen Ebenen mit anderen Gruppen zusammenarbeiten und laden explizit dazu ein, einen Diskussionsprozess anzustoßen. Wir wollen gemeinsam Projekte zum Aufbau einer Infrastruktur angehen und diese in einer Sozialistischen Partei zu einer unabhängigen politischen Kraft zusammenfassen!

      • Kurs auf eine neue Partei

Wenn heute von Reformen die Rede ist, dann greifen die meisten sich spätestens seit der Agenda 2010 wohl eher an den Geldbeutel als Verbesserungen zu erwarten. Es ist sehr lange her, dass für die Arbeiter wirkliche Reformen errungen wurden. Die Herrschenden gestehen selbst kleine Verbesserungen oft nur zu, um viel größere Veränderungen aufzuhalten. Die SPD war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Partei der grundsätzlichen Opposition. Nur ihre Weigerung, sich politisch an der Reproduktion der kapitalistischen Herrschaft zu beteiligen, führte dazu, dass ihre Kritik an der Regierung von den Menschen als glaubhaft empfunden wurde und die Regierung sich ihrerseits wirklich herausgefordert sah. Das Fernziel Sozialismus heißt, für die Gegenwart eine konsequent oppositionelle Haltung einzunehmen, ohne die selbst die kleinsten wirklichen Reformen³ ebenso wie die größere soziale Revolution unmöglich sind.

Eine Partei wie die Linkspartei kann schon deshalb keine ernstzunehmende Kritik an der kapitalistischen Herrschaft üben, weil sie in einigen Bundesländern selbst an ihr beteiligt ist. Heute macht die Bundesregierung eher politische Zugeständnisse, um den Aufstieg der AfD zu verhindern und ihre Wähler zurück zu gewinnen, als aus Angst vor der Linkspartei und ihrer Version des „demokratischen Sozialismus“.

Der Hauptunterschied zur Linkspartei besteht nicht so sehr im Ziel. Sieht man sich das Programm der Linkspartei an, wird man feststellen, dass sie teilweise ähnliche Formulierungen wie wir verwenden. Auch die Linkspartei hat die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zum Ziel (so steht es zumindest in ihrem Parteiprogramm). Die Unterschiede zwischen uns und der Linkspartei treten auf anderen Ebenen – und hier vor allem auf der Ebene der Aktivität – zutage. Der Schwerpunkt der Arbeit der Linkspartei liegt auf dem Parlament und der Mobilisierung für diverse Proteste. Diese Partei sieht sich als Dienstleister der gesellschaftlich Abgehängten und nicht wie die SPD vor dem Ersten Weltkrieg und die KPD in der Zwischenkriegszeit als Werkzeug der Werktätigen, um sich selbst zu ermächtigen und die Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Mehrheit einzurichten.

Protestaktivismus, den die Linkspartei propagiert, richtet sich an den Staat. Ihr geht es darum, „Druck zu machen“. Der Staat soll die Forderungen erfüllen, für die man jeweils demonstriert. Der Staat soll mehr Wohnungen bauen, ein höheres Mindesteinkommen gewährleisten, das Klima retten usw. Hierbei bleibt die volle Verfügungsgewalt bei den Herrschenden. Dem liegt das Bewusstsein zu Grunde, dass der Staat ein neutraler Akteur sei, der von allen Parteien gleichermaßen angerufen werden könne. So propagiert leider auch die Linkspartei implizit den Glauben, dass Politik Sache einer kleinen Elite ist und die Menschen sich nicht selbst – außer zu einmaligen Demonstrationen – organisieren müssen. Durch diese Ausrichtung schadet die Linkspartei dem konsequenten Aufbau selbsttätiger Organisationen in der Zivilgesellschaft und hintertreibt das Ziel einer sich bewusst gestaltenden sozialistischen Gesellschaft, in der der Staat (nach der Machtübernahme durch eine Sozialistische Partei) immer weiter zurückgedrängt werden soll und die Gesellschaft ihre Belange selbst regelt.

Wo die Linkspartei mitregiert, vergrößert sich der Schaden noch weiter. Hier kommt es vor, dass Parteibasis und Führung der Linkspartei aktiv in entgegengesetzte Richtungen arbeiten.
Während viele Mitglieder der Linkspartei unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in der Partei sehr aktiv in potentiell kämpferischen Organisationen der Arbeiterklasse, wie den Gewerkschaften, tätig sind, hat die Regierung ein direktes Interesse daran, dass die Selbsttätigkeit ein bestimmtes Niveau nicht überschreitet oder die Interessen des Kapitals in größerem Umfang gefährdet werden. Potentiell nützliche Arbeit von Mitgliedern der Linkspartei in Nachbarschaftsinitiativen und Gewerkschaften wird so durch die Politik ihrer Parteiführung kompromittiert. Würde diese Arbeit in einem anderen Rahmen, dem Aufbau einer Sozialistischen Partei stattfinden, könnte sie weitaus effektiver sein. Wir rufen dazu auf, mit der dualen Strategie Parlamentarismus und Protestaktivismus zu brechen und – das kann nicht nachdrücklich genug gesagt werden – auch nicht isoliert nur mit einer Seite der Strategie weiter zu machen. Protestaktivismus ist nicht die Alternative zu Parlamentarismus, sondern ihr Komplement.

 


² Die Zweite Internationale war der Verbund sozialistischer Parteien, dem sowohl die alte SPD in Deutschland als auch die russischen Bolschewiki Lenins neben sehr vielen anderen Parteien weltweit angehörten. Mit dem Ersten Weltkrieg hörte sie faktisch auf zu existieren.

³ Natürlich sind Zugeständnisse der Herrschenden an die Arbeiterklasse dazu bestimmt, den Sozialismus zu verhindern und die Arbeiter zu besänftigen! Der Wohlfahrtsstaat ist nicht ein Schritt zum Sozialismus gewesen, sondern eine Reform, um den Kapitalismus zu erhalten.

Wir haben eine historische Aufgabe vor uns. Der Aufbau von Kadern und einer sozialen Basis, von der gesprochen wurde, wird einen jahrzehntelangen Prozess bedeuten. Wir wollen dabei unbedingt auf der Arbeit vorhandener Organisationen und Aktivisten aufbauen. Im ganzen Land kämpfen Menschen in einzelnen Initiativen gegen konkrete Missstände. Sie leisten damit eine Arbeit, die in einem anderen Kontext schon heute die gesamte politische Landkarte Deutschlands umkrempeln könnte. Was ihnen fehlt, ist eine gemeinsame Koordinierung. Diese Koordinierung kann jedoch nur hergestellt werden, wenn wir anfangen, die Kämpfe im Hinblick auf die dringlichste Notwendigkeit der Gegenwart auszurichten: den Aufbau einer Sozialistischen Partei. Wir betrachten diese Aufgabe als unerlässliches Operationsziel auf dem Weg zu unserem Endziel, dem Sozialismus. Wir laden alle interessierten Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen ein, mit uns zusammenzuarbeiten. Nur wenn unsere lokalen und vereinzelten Kämpfe im Hinblick auf den Parteiaufbau umdirigiert werden, können sie politisch effektiv sein und in der Zukunft zu einer wirklichen politischen Veränderung beitragen.

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